Die Entstehung der Service Clubs in Amerika

Die Aktivitäten von Service Clubs wie Rotary, Kiwanis, Lions, Zonta, Soroptimist oder Round Table dringen nur gelegentlich in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Wenn beispielsweise die Medien über die enorm wichtige Bekämpfung der Kinderlähmung berichten, wird die Unterstützung diesbezüglicher Maßnahmen seitens Rotary International im Regelfall vernachlässigt. Die Eigenwerbung der Service Clubs wird offenbar nicht angenommen, vielleicht auch deswegen, weil sie zu bescheiden präsentiert wird. Mit ihren zahlreichen Hilfsangeboten arbeiten die Service Clubs gleichsam im Verborgenen – und dies nicht erst in jüngerer Zeit, sondern seit rund 100 Jahren.


Die Bedeutung von Bruderschaften in Amerika

Um die tatsächliche Bedeutung von Service Clubs zu verstehen, ist ein Blick auf das Amerika des 19. Jahrhunderts zu werfen. Das 19. Jahrhundert war durch die Bewegung des Sozialdarwinismus geprägt. Ein Sozialdarwinist reinster Prägung, William Graham Sumner, beschrieb diese Bewegung folgendermaßen: „Der Kampf um die Existenz, der Wettbewerb um Daseinschancen, ist die Grundtatsache des Gesellschaftslebens. Die Entwicklung der Gesellschaft ist das Ergebnis von Naturgesetzen, der Auslese, der Anpassung und der Weitergabe.“ Durch die Atmosphäre jener Zeit ging zunehmend jeder Bürger seinen eigenen Weg. Im alltäglichen Leben führte dies zu einer sehr individualistischen und auf sich bedachten Sichtweise der Einzelnen. Der zunehmende Individualismus bewirkte, dass das private Leben immer rationaler und geplanter vonstatten ging. In dieser individualistisch geprägten Zeit gab es keinen Staat, zu dessen Programm die Daseinsvorsorge für die Bürger gehörte, wie es heute vom Sozialstaat üblicherweise erwartet wird. Der Einzelne musste sich selbst organisieren, um sozial abgesichert zu sein. Dies vollzog sich in Form der immer stärker zunehmenden Logen, Bruderschaften und Orden, welche sich gerade auf der Gemeindeebene mehr und mehr ausweiteten und organisierten. Durch den Eintritt in eine Loge konnte der einzelne Bürger dieser individualistischen Stimmung für eine kurze Zeit entkommen, da „Fraternalism“ (Brüderlichkeit) zum höchsten Prinzip der Logen deklariert wurde.

Berühmt und von großem gesellschaftlichem Einfluss war der Orden The Independent Order of Odd-Fellows, der im Jahr 1819 in London durch den Schmied Thomas Widley gegründet wurde. Mitglieder dieses Ordens waren Arbeiter, die sich durch ihre Mitgliedschaft im Falle von Krankheit oder Arbeitslosigkeit schützen wollten. Fundament war eine Vergemeinschaftung von Risiken, die auf dem Solidaritätsgedanken beruhte. Auf den Staat war kein Verlass, wohl aber auf den Logenbruder. In einer Zeit des zunehmenden Egoismus und Individualismus war es nur ein natürlicher und existenzieller Wesenszug, sich den Logen, Orden und Bruderschaften anzuschließen. Eine rudimentäre Art der Daseinsvorsorge wurde in jener Zeit bei diesen Orden geprägt. Eines der alten Ordensgesetze lautete demnach auch: „Wir gebieten euch, die Kranken zu besuchen, den Bedrängten zu helfen, die Toten zu bestatten und die Waisen zu erziehen!“

Ende des 19. Jahrhunderts begann dann die immer größer werdende Versicherungsbranche, den Logen ihren Attraktivitätsbonus des Fürsorgegedankens abzunehmen. So boten einige Versicherungen - ähnlich wie auch die Logen - eine Art Berufskrankenkasse an, ohne dass damit irgendwelche „brüderlichen“ Verpflichtungen einhergingen. Somit hatten die Logen innerhalb von wenigen Jahren ein Nachwuchsproblem, von dem sie sich nur schwer erholten. Die Bedeutung des „Fraternalism“ (Brüderlichkeit) nahm immer mehr ab; es gab bei der nachrückenden Generation ein neues Verständnis von „Freundschaft“ und gesellschaftlicher Rollenverteilung. Die junge Generation lebte den Gedanken von Innovation und Veränderung.

Die neue Mittelklasse hob sich sozial durch Mitgliedschaften in so genannten „Business Clubs“, die vornehmlich wirtschaftlichen Interessen nachgingen, von den bis dahin präferierten Einrichtungen ab. Die Clubs pflegten offene Freundschaften, die unter anderem auch mit beruflichen Verbindungen verknüpft waren. Somit distanzierten sie sich von den Logen und Bruderschaften der vorigen Generation.


Frauen-Clubs als Träger des Servicegedankens

Neben der vorgezeichneten Entwicklung waren wohl die Frauenbewegungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtungsweisend für die Gründung der heutigen Service Clubs. Gerade in Amerika war die Frauenbewegung sehr stark durch Selbstorganisation und Selbsthilfe geprägt. Junge Frauen versuchten durch Frauen-Clubs die Enge des häuslichen Umfeldes zu verlassen, um in ihrer Gemeinde durch soziales Engagement eine öffentliche Rolle zu spielen. „Da es den Frauen damals nicht möglich war, im puren Eigeninteresse öffentlich aktiv zu werden, diente die gemeinnützige Orientierung, der Dienst an der Community - also Service - als Legitimation des öffentlichen Engagements.“

Ende des 19. Jahrhunderts entstand eine neue Form von Frauen-Clubs, die so genannten Women‘s Study Clubs. Repräsentativ für diese Entwicklung war der Decatur Illinois Art Club, der eine Kombination aus Service- und Weiterbildungseinrichtung für Frauen sein sollte. Näher verdeutlichen lässt sich dies am Decatur Women’s Club von Mary Haworth. Sie erweiterte den Service-Gedanken der ursprünglichen Frauen-Clubs um den Aspekt einer stärkeren Berücksichtigung des Eigennutzens der Mitglieder. Die Mitglieder hatten die Möglichkeit, neben ihrer Haushaltstätigkeit eine Berufsausbildung oder sogar ein Studium zu beginnen. Diese Weiterbildung wurde von der Organisation nicht nur unterstützt, sondern den Mitgliedern auch nahe gelegt: „supplant[ed] education for self with education for service.“ Einige Jahre später wurden die Women‘s Study Clubs auch in die Organisation der General Federation of Women’s Clubs übernommen. Ziel der Women’s Study Clubs war die zunehmende Positionierung von Frauen im Geschäftsleben durch die Möglichkeit der Weiterbildung und damit der beruflichen Qualifizierung. Durch diese Entwicklung entstand ein neuer Frauentyp, der sich durch Eigeninitiative eine neue Rolle in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft schuf. Das ansteigende Bildungsniveau führte dazu, dass immer mehr Frauen außerhalb des auses Arbeit bekamen.

Durch Engagement auf der Gemeindeebene, wie z. B. durch den Aufbau von Bibliotheken, den Ausbau von Bildungsinstitutionen oder auch öffentlicher sanitärer Anlagen, erarbeiteten sich die Frauen- Clubs einen erhöhten lokalen Einfluss. Diese Veränderungen stärkten zunehmend das Selbstbewusstsein der Frauen. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Zeit der Service Clubs wie Rotary, Lions und Kiwanis gekommen. Hunderttausende von Männern folgten dem Zeitgeist und traten den Clubs bei, die einem ähnlichen Ansatz wie demjenigen der Frauen-Clubs folgten. Die männlichen Service Clubs ignorierten die Frauen-Clubs jedoch von Anfang an und schrieben sich die Erfindung des Service- Gedankens auf ihre eigene Fahne. Den Frauen wurde insoweit immer weniger Aufmerksamkeit gewidmet und damit verschwanden auch die Women’s Clubs zunehmend aus der Öffentlichkeit.


Der erste Service Club

Paul Harris eröffnete im Jahre 1899 als junger Rechtsanwalt eine Kanzlei in Chicago. Es war eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in der er versuchte, sich eine Existenz aufzubauen. Schnell stellte sich für Harris heraus, dass der Aufenthalt in Chicago eine harte Zeit werden würde, da ihm der Zugang zur Geschäftselite Chicagos versagt blieb. „I made my meager resources stretch as far as I could but to get started in the practice of law was more difficult than I had expected it to be.” Er fragte sich in jener Zeit immer wieder, wie er als Junge vom Land, der es gewohnt war, nette Nachbarn zu haben, in einer Stadt wie Chicago ohne soziales Netzwerk überleben könne: „Everywhere there were people but nowhere a familiar face.” Harris wurde immer mehr bewusst, wie wertvoll es ist, Freunde zu haben. In ihm setzte sich immer mehr der Gedanke fest, dass viele tausend junge Männer, die vom Land in die Stadt kamen, das gleiche Problem hatten. Harris kannte jedoch persönlich nur wenige von ihnen, so dass er auf die Idee kam, man müsse diese jungen Männer zusammenführen.

Am 23. Februar 1905 setzte er seine Idee in die Praxis um. Harris lud drei Geschäftsfreunde zu sich ein. Sylvester Schiele (Kohlenhändler) war zu jener Zeit sein bester Freund in Chicago, er wurde auch Präsident des ersten Rotary Clubs. Gustavus Loehr (Bergbauingenieur) und Hiram Shorey (Konfektionär) waren die beiden anderen der ersten Runde, sie blieben jedoch nicht lange im Club. Die Treffen wurden abwechselnd in den Geschäftsräumen der Mitglieder abgehalten, in einer Art Rotationsverfahren, wodurch auch der Clubname Rotary entstand.

Mit der Gründung von Rotary begann die Geschichte vieler anderer Service Clubs weltweit, die sich ähnlichen Zielen und Werten verschrieben. Hierzu gehört Kiwanis International (1915), Lions Clubs International (1917), Zonta International (1919), Soroptimist International (1921) und Round Table International (1927).


Quellen:

Bütow, Wolf J. (1981): In guter Gesellschaft - Clubleben in Deutschland, Düsseldorf, Wien.

Charles, Jeffrey A. (1993): Service Clubs in American Society - Rotary, Kiwanis and Lions, University of Illinois.

Dahrendorf, Ralf (1963): Die angewandte Aufklärung - Gesellschaft und Soziologie in Amerika, München.

Friedrich, Jonas (1976): Geschichte der Soziologie - Aufklärung, Liberalismus, Idealismus, Sozialismus - Übergang zur industriellen Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg.

Harris, Paul (1984/1965): Selections from My Road to Rotary, Evanston, New Delhi, Sao Paulo, Stockholm, Tokyo, Zürich.

Hörndler, Rolf et al. (2003): Rotary ABC, Hamburg.

Wedemeyer, Manfred (2002): Den Menschen verpflichtet. 75 Jahre Rotary in Deutschland 1927-2002, Hamburg.

Zimmer, Annette (2002): Service Clubs heute - Tradition und Perspektiven, in: Münsteraner Diskussionspapiere zum Nonprofit-Sektor, Nr.18.



© Sebastian Gradinger, Universität Trier 2005